Andreas Freivogel, Softwareentwicklung, Basel (CH)
Die bisherigen Blogbeiträge zum Jahres Vers betonen immer wieder, dass dieser Vers eine Herausforderung darstellt. Ich möchte ins selbe Horn stoßen und anfügen, dass die Herausforderung schon bei der Grammatik im griechischen Text und dessen Übersetzung ins Deutsche beginnt. Wer beim Gedanken an Grammatik – griechische oder französische – zusammenzuckt, bitte ich um Nachsicht und einen Moment Geduld. Folgende Beobachtung eröffnete mir neulich einen weiteren Zugang zu diesem kurzen Satz, der uns ein ganzes Jahr begleitet.
Beginnen wir bei einigen deutschen Übersetzungen von 1. Korinther 16,14, die bemerkenswerte Unterschiede aufweisen.
● Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. (Zürcher Bibel, Einheitsübersetzung 2016)
● Alles bei euch geschehe in Liebe! (Elberfeldern)
● Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen! (Lutherbibel 2017)
Aber woher kommen diese Unterschiede? Der Kern dieser Knacknuss für die Übersetzung ist das Wort γινέσθω (sprich: ginesto) und dieses mit “geschehe” oder “lasst … geschehen” übersetzte Wort hat es in sich. Es handelt sich nämlich um ein Imperativ Präsens Medium, dritte Person Singular. Ufff.
Imperativ ist die Befehlsform, die wir nur für die zweite Person Singular (Steh auf!) und Plural (Setzt euch!) kennen, nicht aber für die dritte Person Singular (er, sie es). Präsens ist die Gegenwart. Zur Zeit von Paulus wie auch heute betrifft der Vers unser Hier und Jetzt. Medium steht zwischen dem uns bekannten Aktiv (Noah baut die Arche) und dem Passiv (Die Arche wird von Noah gebaut) und ist ein kniffliger Fall für die Übersetzung, da nur mit Hilfskonstruktionen bewältigbar. Hier ein Versuch am aktuellen Beispiel: Noah baut sich eine Arche.
Alle drei Übersetzungen versuchen sich der griechischen Form anzunähern. Weil es im Deutschen dafür aber keine hundertprozentig treffende Übersetzung gibt, beleuchten sie den Vers unterschiedlich und heben verschiedene Aspekte hervor.
Zum Beispiel findet man im griechischen Text “was ihr tut” nicht. Diese Übersetzungen laufen Gefahr, die Aufmerksamkeit zu sehr auf das aktive Tun zu richten. Beim schnellen Lesen kann hier der Eindruck entstehen, dass wir in erster Linie zum Tun aufgefordert sind und dass dieses Tun in Liebe geschehen soll. In der Umsetzung kann das darauf hinauslaufen, dass das unser liebevoll gemeintes Tun zum blinden Aktivismus wird.
Im Gegensatz dazu steht die passive Konstruktion “lasst … geschehen” in der Übersetzung nach Luther. In dieser Lesart ist Liebe etwas, das wir geschehen lassen sollen. Hier könnte die eigene Rolle passiv verstehen und geneigt sein, sich gemütlich zurückzulehnen.
Gemeinsam ist den Übersetzungen die Aufforderung, der Imperativ aus dem Griechischen. “geschehe” kommt im heutigen Sprachgebrauch gerade mal noch als Konjunktiv I Präsens (Möglichkeitsform, Gegenwart) vor. Das mag aber nicht so recht zur oben bemerkten herausfordernden Aufforderung passen, die in diesem Vers steckt. Sollte man also mit “soll geschehen” übersetzen? Damit würden wir zu einer Konstruktion übergehen, die dem Imperativ (Befehlsform) ähnelt. Hier funktioniert “geschehe” als sogenannter Jussiv, ein Befehl an die dritte Person. Das ist weniger gebräuchlich, kommt aber durchaus vor. Zum Beispiel “Es werde Licht” oder “Man nehme 120g Schokolade.”
Die Herausforderung bleibt also, aber wir müssen nicht alleine ans Werk, sondern dürfen mitwirken. Gott ist Liebe und in ihm dürfen wir bleiben (1. Johannes 4, 16). Nur durch ihn kann es uns manchmal (!) gelingen, etwas in Liebe zu tun.
Wir sollen nicht blind drauflos eifern, aber uns auch nicht nur passiv zurücklehnen. Wir bewegen uns da irgendwo dazwischen, in der Mitte, auch wenn uns die griechische Form des Mediums in unserer Sprache abhanden gekommen ist.
👌